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Wir Haben Ihn, Gabrielle!

by Verrath

Die wild flackernden Bilder auf dem Fernsehschirm warfen bizarre Licht- und Schattenspiele an die Wände eines ansonsten völlig dunklen Raumes. Der Ton war leise gestellt, so daß man gerade noch die gruselig kreischende Hintergrundmusik hören konnte, während ein ekelhaftes, schleimiges Etwas, das man nur schemenhaft und in kurzen Überblendungen zu sehen bekam, durch eine dunkle, schwarz-weiße Gasse im London der 50er Jahre schlurfte. Unaufhaltsam näherte sich das Ding der Wand am Ende der Gasse, wo eine hübsche blonde Frau in einen Hauseingang gepreßt stand, das Gesicht verzerrt vor Angst. Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftigst vom schweren Atmen.

Die Musik wurde schneller, kreischender, dramatischer. Die schauderhafte Kreatur näherte sich ihrem Ziel, die widerliche Schnauze erhoben, schnüffelnd.

Etwas bewegte sich auf dem kleinen Sofa, daß gegenüber dem Fernseher an der Wand stand. Ein dunkler, zerzauster Haarschopf tauchte aus einem Bündel von Decken und Kissen auf, gefolgt von zwei weit aufgerissenen Augen, die gebannt auf den Bildschirm sahen.

"Guckst du hin? Hat es sie schon gesehen?"

"Du kannst hochkommen. Es sucht noch. Und sie zeigen es immer noch nicht richtig." In Sinas Stimme schwang eine Mischung aus Mißmut und Furcht mit. Sie hatte ihre Hände vor den Augen, die Finger gerade weit genug gespreizt, um hindurchsehen zu können.

Vorsichtig tauchte ein zweiter Kopf auf. Dieser war blond. Gabis Hände hielten krampfhaft die Decke fest, damit sie sich notfalls schnell wieder darunter verkriechen konnte.

 

Das ganze hatte damit angefangen, daß Sina nachts auf die Toilette mußte. Heute war der zweite Tag, an dem sie bei Gabi übernachtete. Ihre Mutter und ihr Bruder waren nicht zuhause, und so wäre Sina ganz alleine daheim gewesen. Der bloße Gedanke daran, ein Mädchen wie Sina über Nacht unbeaufsichtigt zu lassen, hätte wohl jeden Erwachsenen erschauern lassen; Sinas Mutter war da keine Ausnahme.

Da sie sich im Dunkeln in der relativ fremden Wohnung nicht so gut zurechtfand, war Sina zunächst im Arbeitszimmer von Gabis Vater gelandet. Dort war ihr sofort der kleine Fernseher aufgefallen.

Man muß ihr zugute halten, daß sie das Gerät nur einmal kurz mit den Fingerspitzen berührte, bevor sie den Raum wieder verließ, um ihr Geschäft zu erledigen. Aber sie platzte fast vor Neugier. Sie durfte nämlich nach zehn Uhr abends nicht mehr fernsehen. Gabi durfte sogar nur bis acht Uhr schauen, also fühlte sich Sina schon fast privilegiert.

Aber manchmal, wenn sie nachts wach lag, konnte sie die faszinierendsten Geräusche aus dem Wohnzimmer hören, wenn ihre Mutter noch spät vor dem Fernseher saß. Und immer, wenn sie dann aufstand war, um sich die Sache näher anzusehen, scheuchte ihre Mutter sie schnell zurück ins Bett. Es war zum verrückt werden!

Und nun, zurück in Gabis Zimmer, ließ die Neugier sie einfach nicht mehr einschlafen. Visionen von den verbotenen Wundern der nächtlichen Fernsehsendungen erschienen vor ihrem inneren Auge. Wieso wollten die Erwachsenen eigentlich nicht, daß Kinder dieses Zeug sahen? Was war denn daran so geheimnisvoll? Vielleicht wußte Gabi es ja...

"Gabi?" sagte sie leise und tätschelte vorsichtig den Arm ihrer Freundin. "Hey, Gabi, bist du wach?"

"Mmmmmneee," sagte Gabi, das Gesicht tief in ihr Kissen vergraben.

Sina drehte sich auf den Rücken und verkreuzte die Arme hinter dem Nacken. Sie starrte nachdenklich an die Decke, die von dem kleinen Smiley-Nachtlicht schwach angestrahlt wurde. "Gabi, ich hab mich schon oft gefragt... wieso dürfen wir Kinder nachts nicht fernsehen? Ich meine, da muß es doch irgendwas geben, daß sie uns nicht sehen lassen wollen, oder? Was könnte das denn sein?"

Als klar war, daß Gabi nicht antworten würde, redete Sina weiter. "Meinst du, daß die Erwachsenen was vor uns verstecken? Hm? Meinst du?"

Ihre Freundin murmelte etwas ins Kissen.

"Also, was denkst du, Gabrielle? Oh, Mann, ist das nicht was, was dich einfach nicht schlafen läßt?"

Mit einem frustrierten Knurren setzte Gabi sich auf und warf ihrer Freundin einen vernichtenden Blick aus ihren verschlafenen Augen zu. "Du bist was, was mich einfach nicht schlafen läßt!" schimpfte sie.

Sina war unbeeindruckt. "Also, was glaubst du, warum dürfen wir spät abends nicht mehr fernsehen?"

Gabi gähnte und rieb sich die Augen. Dann dachte sie über Sinas Frage nach. "Na ja, vielleicht haben sie Angst, daß sie keine Macht mehr über uns haben, wenn wir alles wüßten, was sie wissen. Dann wären wir ja genau so klug wie sie. Ich denke mal, das wollen sie nicht, weil, dann könnten sie uns nicht mehr so gut rumkommandieren."

"Das könnte sein," stimmte Sina ihr zu. Sie verstummte. Ihre Hände spielten abwesend mit der Bettdecke. Nach einer Weile sprach sie zögernd. "Du Gabi... der Fernseher im Arbeitszimmer..."

Gabi war zwar zunächst skeptisch, aber dann ließ sie sich doch recht einfach überzeugen.

 

Und jetzt zog also das schreckliche Ding aus der Gruft unaufhaltsam durch London und verbreitete Angst und Schrecken unter den beiden kleinen Mädchen, die wie gebannt vor dem Fernseher saßen, zitternd und bibbernd, an die Bettdecke geklammert. Starr vor Angst sahen sie zu, wie sich das schreckliche, schleimige Monster immer näher an sein Opfer heran arbeitete, stöhnend und sabbernd. Es schlurfte direkt auf den Hauseingang zu, in dem die junge Frau noch immer mit angehaltenem Atem und unmöglich weit aufgerissenen Augen versteckt war.

Eines der Mädchen wimmerte leise, und die Decke hob sich um einige Zentimeter. Dann, als das gräßliche, untote Ding an der Frau vorbeiging, ein erleichtertes Aufseufzen.

Aber dann hielt das Monster inne, schnüffelte mit seiner halb verwesten Nase, und richtete milchig weiße Augäpfel in das Dunkel des Hauseinganges.

Gabi hielt erschreckt den Atem an, während Sina lautlos tiefer unter die Decke glitt, bis nur noch ein Auge und ihr dunkler Pony zu sehen waren. Die Kinder waren näher zusammengerückt und hielten sich nun verzweifelt aneinander fest, um das furchtbare Monster von sich fernzuhalten.

Als das Ding aus der Gruft schließlich eine schleimige Hand nach dem Hals seines Opfers ausstreckte, da waren beide Mädchen wieder ganz unter der Decke verschwunden, die Augen fest zusammengekniffen. Sie lauschten auf die tief dröhnende, unheilvolle Musik, und auf den gellenden Schrei, der plötzlich verstummte. Beide bissen sich auf die Unterlippe und hielten den Atem an, um nur ja kein Geräusch zu überhören.

"Oh Gott, was tut er mit ihr?" flüsterte Sina. "Glaubst du, er frißt sie auf?"

"Ich will's gar nicht wissen," sagte Gabi durch klappernde Zähne.

"Du bist ein Jammerlappen," schnappte Sina. Sie faßte sich ein Herz, holte noch einmal tief Luft, und kam langsam unter der Decke hervor, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die Szene ausgeblendet wurde.

"Och menno," murmelte sie (und hoffte, daß Gabi ihr erleichtertes Seufzen nicht gehört hatte).

Beide Mädchen schrien auf, als plötzlich das Licht im Zimmer anging. Als sie sahen, daß es nur Gabis Mutti war, die im Nachthemd in der Tür stand, entspannten sie sich trotzdem nicht. Gabis Mutti sah verschlafen und ziemlich ungehalten aus.

"Was habt ihr zwei hier verloren?" Sie ging zum Fernseher und schaltete ihn aus. Dann hielt sie den beiden eine lange Rede darüber, daß kleine Mädchen tun mußten, was ihre Eltern ihnen sagten. Durfte denn Sina so spät abends noch fern sehen, (Worauf Sina schweigend den Kopf schüttelte) und was würde wohl Sinas Mutti sagen, wenn sie hiervon erfuhr? "Und jetzt macht, daß ihr ins Bett kommt. Wir sprechen uns morgen."

Die Mädchen gehorchten schweigend. Morgen würde es sicher großen Ärger geben!

Tatsächlich aber fing der Ärger schon eine ganze Weile früher an.

Als Gabis Mutti die Mädchen ins Bett gebracht und die Tür hinter sich geschlossen hatte, legte sich eine unheimliche Stille über das Kinderzimmer. Sina und Gabi verkrochen sich tief in ihre Decken, dankbar, daß die andere da war. Die Gedanken rasten nur so in ihren Köpfen.

"Was meinst du wohl, was mit dem Ding aus der Gruft passiert ist?" fragte Sina nach einer Weile. "Glaubst du, sie haben es am Ende gefangen?"

"Ich weiß es nicht," sagte Gabi mit zitternder Stimme. "Das ist ein ziemlich großes und böses Monster. Ist bestimmt ganz schön schwer zu fangen."

Es war fast dunkel im Zimmer, bis auf das kleine Smiley-Nachtlicht. Aber die wirren, bizarren Schatten, die sein schwaches Licht auf die Wände und Möbel warf, waren alles andere als beruhigend! Gerade die Orte, wo sich Monster mit Vorliebe auf die Lauer legten, waren in Dunkelheit gehüllt. Da! Hatten da nicht eben zwei glühende Augen aufgeblitzt? Und bewegte sich dort nicht etwas neben dem Stuhl? Das sah ja aus wie...

"Sina, sieh doch," flüsterte Gabi eindringlich, "da, auf dem Stuhl! Siehst Du das?"

Sina stockte der Atem, als auch sie auf den Stuhl blickte. Da saß ja jemand! Oder eher etwas...? "Es ist das Ding aus der Gruft," flüsterte sie. Sie spürte, wie Gabi näher an sie heranrückte und sich an ihren Arm klammerte. Sina überlegte fieberhaft. Die Dinge standen nicht besonders gut für sie und ihre Freundin. Es sei denn...

"Schnell, Gabrielle, was würde Xena jetzt tun? Erzähl's mir..."

Gabi rieb sich die Nase, und ein verträumter Ausdruck kam in ihre Augen. Selbst angesichts des Schreckens dort auf dem Stuhl wurde sie ruhiger, als sie die große Kriegerprinzessin und ihre tapfere kleine Bardin vor ihrem geistigen Auge sah. Xena fand immer einen Ausweg.

 

Versteckt hinter einer Wand beobachteten die Kriegerprinzessin und die Bardin, wie sich das menschenähnliche, schleimige Ding ungelenk auf die Häuser zubewegte. In der Ferne zeichneten sich dunkel die Umrisse von hoch aufgetürmten Grabhügeln, in denen die gefallenen Helden ihre letzte Ruhe fanden, gegen den bewölkten Nachthimmel ab. Ein voller Mond schien fahl durch die dicken Wolken und tauchte das Land in ein weiches, milchiges Licht.

"Bei allen Göttern, dieses Ding ist ja schauerlich," flüsterte Gabrielle.

"Jap," stimmte ihr Xena, gesprächig wie immer, zu.

"Ich frage mich, was es wohl aus seinem Grab getrieben hat?"

Die Kriegerin zuckte die Schultern. "Verdauungsstörungen?"

Die Bardin schüttelte den Kopf und rollte die Augen, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Monster zuwand. "Wirst du gegen es kämpfen?"

"Jap."

"Ich bin direkt bei dir." Die kleinere Frau umgriff ihren Kampfstab fester, ihr Gesicht voller Entschlossenheit.

"Nö," grunzte die Kriegerin. "Du bleibst hier. Halt mir den Rücken frei."

"Aber ich..."

Xenas warnender Blick verbot jegliche Diskussion. Gabrielle zog mißmutig die Stirn in Falten, aber dann nickte sie.

Die Kriegerprinzessin wartete geduldig, bis das Monster an ihrem Versteck vorbeigeschlurft war, dann stürzte sie hervor, das Schwert gezogen, und warf sich mit ihrem wilden Kampfschrei in die Schlacht. Xena spürte kaum Widerstand, als sie ihre Klinge in den Bauch des Monsters rammte. Die völlig überrumpelte Kreatur hatte gar keine Zeit, zu reagieren, da war die Waffe schon bis zum Griff in ihrem Leib verschwunden; sie zuckte nicht einmal zusammen.

Als die Kriegerin dann ihr Schwert wieder zurückzog, war es mit einer dicken, grünen Masse bedeckt, die stark nach Pilzen und Verwesung roch. Ein Dampfwölkchen stieg leise zischend von der Klinge empor.

Die blauen Augen weit aufgerissen, starrte Xena auf die Waffe in ihrer Hand. "Igitt!"

Aber jetzt hatte sie seine Aufmerksamkeit erregt. Es richtete seine milchigen Augäpfel auf sie und kam langsam näher, die Arme grotesk nach vorne gestreckt.

Mit einer blitzschnellen Bewegung griff Xena erneut an. Ein kräftiger Tritt gegen den Kopf des Monsters, und sie spürte, wie brüchige Knochen unter ihrer Ferse zersplitterten. Der Kopf knickte für einen Moment zur Seite, dann sprang er wieder in seine alte Lage zurück. Dort, wo Xenas Fuß getroffen hatte, war eine tiefe Delle. Das Ding war davon allerdings völlig unbeeindruckt.

"Das hat keinen Zweck, Xena. So kannst du es nicht verletzen," rief Gabrielle. Sie war aus ihrem Versteck hervorgekommen und sah sich nun fieberhaft nach etwas um, womit man dem Feind Schaden zufügen könnte. Ihr Blick fiel auf eine brennende Fackel an der Wand, hinter der sie sich versteckt hatten. Sie ergriff sie schnell und warf sie ihrer Freundin zu.

"Xena! Probier's damit!"

Ohne richtig hinzusehen, fing Xena die Fackel mit ihrer freien Hand auf und streckte sie dem wild fuchtelnden Monster entgegen.

Das Ding aus der Gruft schrie auf, die Klauen über die Augen gepreßt. Es wich vor der Kriegerin zurück. Ganz offensichtlich bereitete ihm das grelle Flackern des Feuers Schmerzen. Als Xena erneut die Fackel schwang, floh es in einem unbeholfenen Trab in Richtung der Grabstätte.

 

"Feuer! Das ist es," flüsterte Sina. "Monster hassen helles Licht!" Ohne ihren Blick von der Kreatur auf dem Stuhl abzuwenden, kroch sie langsam zum Fußende des Bettes, wo der Lichtschalter war. Das Monster saß regungslos da und verfolgte jede Bewegung des Mädchens mit den Augen. Es schien nur darauf zu warten, daß eines der Kinder den Schutz des Bettes verließ. Sie konnte beinahe den Schaum vor seinem Mund sehen.

Ein teuflisches Grinsen machte sich auf Sinas Gesicht breit, als sie ihre Hand nach dem Schalter ausstreckte. "Weiche von uns, Ausgeburt des Bösen!" sagte sie mit düsterer Stimme. Sie war sicher, daß sie das Ding zusammenzucken sah, bevor das Licht anging. Beide Mädchen kniffen die Augen zu, um sie vor dem grellen Licht zu schützen. Als sie sie wieder öffneten, hatte sich die gräßliche Kreatur der Finsternis aufgelöst in den Haufen von Kleidern, den die beiden beim ausziehen achtlos über die Lehne des Stuhles geworfen hatten.

"Puh! Das war knapp," sagte Sina.

Gabi legte den Kopf schief und sah ihre Freundin an. "Aber was machen wir, wenn es wiederkommt...?"

 

"Es kommt sicher wieder," sagte Xena mit Bestimmtheit. "Die Fackel wird es nicht lange abschrecken. Wir müssen einen Weg finden, um es ein für alle Mal zu zerstören."

"Wir könnten ihm ein paar Fallen stellen und es dann anzünden," überlegte Gabi. "Bestimmt würden wir es damit zerstören." (Na ja, jedenfalls hatten die Leute im Fernsehen das gedacht)

"Guter Gedanke, Gabrielle! Was brauchen wir alles, um die Fallen zu bauen?"

"Also, zuerst brauchen wir einen Eimer mit heißem Pech...

 

Wenige Stunden später saßen die beiden Kameradinnen wieder in ihrem Versteck und warteten darauf, daß das Ding aus der Gruft zurückkehrte. Alles sah genau so aus wie zuvor, aber die scheinbar so friedliche Stille des kleinen Dorfes täuschte. Nur ab und zu störte das Zirpen einer Grille die nächtliche Ruhe.

Die Kriegerin betrachtete noch einmal prüfend ihr Werk, zum vielleicht hundertsten Mal, und nickte zufrieden. Alles sah völlig harmlos aus. Die Fallen waren perfekt.

Und sie warteten.

Und warteten.

"Och menno," flüsterte Xena, und schmollte beinahe ein bißchen. "Vielleicht kommt er doch nicht wieder."

Gabrielle überlegte eine Weile. "Vielleicht sollten wir irgendwie seine Aufmerksamkeit erregen. Laß uns so tun, als wären wir verletzt, und wehrlos."

"Gute Idee! Tun wir es!"

"Okay!"

Schon bald erklang ein schmerzerfülltes Stöhnen durch die Nacht. Es drang bis zu den Ohren des verwesenden Gruftbewohners, der sofort schnuppernd seine pilzbewachsene Schnauze in die Luft hielt. Dann erhob sich die Kreatur erneut von ihrem feuchten, vermoderten Grab, um wieder zurückzukehren, dahin, wo die Lebenden wohnten.

"Er kommt, Xena," flüsterte Gabrielle aufgeregt. "Es funktioniert."

"Allerdings," erwiderte die Kriegerin mit einem grimmigen Grinsen. "Jetzt laß uns mal sehen, wie ihm unser kleiner Willkommensgruß gefällt."

Gebannt sahen sie zu, wie sich die bizarre Gestalt langsam auf das kleine Dorf zubewegte. Sie hielten den Atem an, als sie die erste Häuserreihe passierte. Plötzlich verlor der Unhold das Gleichgewicht. Etwas war aus dem Boden emporgeschossen und hatte sich um seine Beine geschlungen. Mit einem wütenden Brüllen rappelte er sich wieder auf, nur, um erneut hinzufallen. Auf diese Art legte er eine kurze Strecke zurück, bis plötzlich von oben aus einer Baumkrone eine zähe, brennen heiße, schwarze Masse auf ihn herrunterregnete und ihn von Kopf bis Fuß bedeckte. Seine Schreie und Beschimpfungen klangen auf einmal fast schon menschlich!

"Wir haben ihn, Gabrielle! Schnell, die Pfeile! Ich werfe ihm die Decke über!"

Die Bardin bedurfte keiner Aufforderung; sie hatte bereits ihre Armbrust geladen. Geschwind zündete sie den Pfeil an, zielte, und schoß. Kurz darauf folgte ein zweiter brennender Pfeil.

In der Zwischenzeit näherte sich die Kriegerprinzessin dem am Boden liegenden Monster, eine große Wolldecke in den Händen. Die warf sie mit einer schnellen Bewegung über die heftig zappelnde Gestalt.

"Verdammtnochmallaßtmichsoforthierrausoderihrkönntwaserlebensowahrmirgotthelfe!" schimpfte das gefangene Monster wütend.

Die Freundinnen hielten inne und sahen sich an. "Hast du auch gehört, was ich eben gehört habe?" fragte die Bardin. Die Kriegerin nickte stumm und biß sich auf die Unterlippe.

 

Im nächsten Augenblick ging das Licht im Kinderzimmer zum zweiten Mal in dieser Nacht an. In der Tür stand Gabis Mutti, das Haar zerzaust und die Augenlider schwer, nachdem sie schon wieder aus dem tiefsten Schlaf gerissen worden war.

"Was um Himmels Willen ist hier los? Wo ist Papa? Ich habe ihn hier runter geschickt, um nach euch zu s-" Ihr Blick fiel auf das zuckende Bündel zu ihren Füßen.

Saftige Flüche, die eigentlich nicht für Kinderohren geeignet waren, drangen gedämpft unter der Decke hervor, während Gabis Vater sich mühsam aus "der Falle" befreite, begleitet von finsteren Androhungen, was den beiden kleinen Monstern alles blühen würde, wenn er sie erst einmal zu fassen bekam.

Er war klatschnaß, seine Brille saß schief, und der Eimer, der mit Wasser gefüllt oben auf der leicht geöffneten Tür gestanden hatte, saß nun schief auf seinem Kopf. Ein Springseil war um seine Beine geschlungen.

Mit seinen Bartstoppeln, die im Laufe des Tages nachgewachsen waren, und dem Saugnapf des Spielzeugpfeiles, der noch an seiner Wange haftete, sah er tatsächlich ein bißchen wie ein Monster aus. Und der finstere Ausdruck auf seinem Gesicht machte es auch nicht gerade besser!

Gabis Mutter starrte ihn ungläubig an, dann prustete sie. "O weh," sagte sie, "du bist ja ein schöner Anblick." Dann fing sie sich, und sah die Kinder streng an. Die beiden Mädchen befürchteten das Schlimmste.

Mutters Mund öffnete und schloß sich ein paar mal, aber kein Laut kam heraus. Es sah fast so aus, als kämpfte sie gegen ein Grinsen! Sie holte ein paarmal tief Luft, setzte eine bösen Miene auf, und versuchte es noch einmal. "Diesmal habt ihr es wirklich geschafft, ihr zwei," begann sie. Aber dann fiel ihr Blick auf "das Ding aus der Gruft", und sie sank hilflos gegen den Türrahmen, die Hand vor den Augen, ihre Schultern zuckten leise von ihrem lautlosen Lachen.

Gabis Papa hingegen war überhaupt nicht amüsiert. Er erhob sich mühsam, trocknete seine Hände an der Decke ab, und sah zuerst die Kinder und dann seine Frau, die sich gerade die Tränen von der Wange wischte, böse an.

"Das ist nicht witzig," sagte er dem Boden zwischen dem Bett und der Tür.

"Tut mir leid, Liebling. Du hast Recht, es ist wirklich nicht witzig," sagte Gabis Mutti kichernd.

"Ja, also," begann Gabis Papa. Dann sah er an sich herunter, auf den triefnassen, grau-gestreiften Pyjama, die Füße, die in den rosa Puschen steckten, die Beine, die noch immer im Sprungseil und in der Decke verheddert waren, und auf die riesige, lauwarme Pfütze um ihn herum.

"Ja, also," sagte er noch einmal. Seine Mundwinkel zuckten. Schon bald lachte auch er so heftig, daß die Tränen seine Wangen hinunterkullerten.

Die beiden Mädchen sahen sich an und zuckten mit den Schultern. Große waren schon manchmal komisch!

 

Ende

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