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Sommer-Sklavenlager II - Sklavenjagd

by Verrath

Die lederbekleidete Archäologin schob sich vorsichtig den engen Felsvorsprung entlang, den Rücken fest gegen die harte, unebene Felswand gepreßt. Die Spitzen ihrer Stiefel ragten ein Stück über den Vorsprung hinaus; darunter konnte sie die tobenden Stromschnellen weit unten in der zerklüfteten Schlucht wüten sehen. Ein einziger Fehltritt würde sie geradewegs in diese tosende Hölle befördern.

Janice Covington atmete tief durch. Ah, Abenteuer! Gefahr! Adrenalin!

Das war das Leben!

Sie sah zu ihren Gefährten hinüber.

Otto hielt sich tadellos, aber bei seiner Vergangenheit als Zirkusartist und Zauberkünstler in einem deutschen Zirkus war das auch kein Wunder. Sein einziges Problem war es, daß seine Füße so groß waren, daß gerade nur die Fersen noch festen Stand auf dem schmalen Vorsprung hatten. Wenn irgend jemand diese Kletterpartie schaffen konnte, dann sicher Otto.

Auch Jaques hielt sich wacker, solange er nicht nach unten sah. Die Archäologin war ein wenig besorgt, ob er mit seiner grobmotorischen Veranlagung dieser Sache gewachsen war. Der Franzose war ein gutmütiger und treuer Begleiter, aber auch leider so ungeschickt, daß er die Gruppe manchmal in mehr Schwierigkeiten brachte, als ihnen lieb war.

Natürlich war das Ganze wieder einmal Ottos Idee gewesen. Er fand immer irgendwelche mystischen Schätze, die in den unmöglichsten, gottverlassensten Orten versteckt waren. Es war typisch für Otto, daß er beim Erklingen des Wortes "Schatz" völlig aus dem Häuschen geriet! Allerdings vermutete Janice, daß es ihm dabei gar nicht so sehr um den Reiz und den Nervenkitzel des Entdeckens, als vielmehr nur um das Geld und den Reichtum ging. Doch es war gerade dieser Nervenkitzel, der Janice immer wieder aus ihrem gemütlichen Zuhause herauslockte, hinein ins Abenteuer.

Es war nur gut, daß Mel im Lager geblieben war. Sie mochte eine der qualifiziertesten und intelligentesten Frauen der Welt sein, aber körperliche Höchstleistungen und anstrengende Klettertouren waren einfach nicht Melinda Pappas' Stärke.

"Der Karte nach müßte dort am Ende der Eingang zu einer Höhle sein," sagte Otto.

Jaques bohrte gedankenverloren in der Nase. Er schien völlig unbefangen, seine Gedanken entrückt und leer. Seine Blick streifte über die atemberaubende Landschaft, die Janice so unwiderstehlich fand - üppige grüne Vegetation, die trotz des scharfen Kontrastes zu den schroffen Felsklippen mit diesen in wilder Schönheit vereint schien, die Stromschnellen weit, weit unten, die dem ganzen eine dramatische Stimmung gaben...

Weit unten???

Ziemlich weit unten! Gebannt starrte der Franzose auf die tobenden Wassermassen. Der Boden schien sich zu entfernen, und dann mit rasender Geschwindigkeit wieder zu nähern...

Zu spät sah die Archäologin, daß Jaques in Schwierigkeiten war; sein Fuß hatte schon den Halt verloren und ein paar Steinchen und eine kleine Staubwolke losgetreten. Wild mit den Armen rudernd, griff er nach dem ersten, was ihm in die Finger kam - und das war auf der einen Seite Ottos Ärmel, auf der anderen Janices Knöchel. Es folgte ein hektisches Handgemenge, in dem der Akrobat und die Archäologin verzweifelt versuchten, das Gleichgewicht nicht zu verlieren - Janice ging sogar so weit, Jacques' Hand mit ihrem Fuß zu treten, wobei sie einige wenig damenhafte Ausdrücke von sich gab. Aber schon bald rutschte das gesamte Trio über die Kante, langsam zuerst, doch dann immer schneller, unter lautem Geschrei und Fluchen. Schließlich landeten sie in einem Knoten mit einem riesigen Platschen unten im Wasser.

Otto erholte sich als erster. Sein Kopf tauchte aus dem Wasser auf, und er strich sich das Wasser aus dem Schnurrbart. Selbst in seiner momentanen Situation schaffte er es, dabei würdevoll auszusehen.

"Paß auf, wo du hintrittst, Jacques, " sagte er, als der Franzose spuckend und japsend and die Oberfläche kam.

 

"Gut gemacht, Jock, " sagte Andy ärgerlich. Jock strecke ihm die Zunge heraus.

Grummelnd und schimpfend wateten drei ans Ufer, tropfnass und mit quietschenden Schuhen, aus denen das Wasser bei jedem Schritt in kleinen Fontänen herausschoß

Gabi schüttelte ihr langes nasses Haar, und traf damit den kleinen Jock, der zu dicht hinter Ihr war, mit einem lauten Klatsch! mitten ins Gesicht.

"Menno, was soll das?," jammerte der.

"Paß halt auf," schnappte Gabi und wrang ihr Haar aus.

Der kleine, ruhige See lag in dem selben abgelegenen Tal, in dem auch die Hütten des Sommerlagers standen, umgeben von dichtem Wald und einer kleinen Bergkette. Fast in seiner Mitte ragten einige Felsen hervor, die durch eine schmale natürliche Steinbrücke mit dem Ufer verbunden waren. Auf diesen Felsen waren die drei Kinder herumgeklettert. Von der anderen Seite des Sees aus hatten sie nämlich dort zwischen den Felsen einen seltsamen Schatten gesehen, der tatsächlich ein bißchen wie eine Höhle aussah. Das mußte natürlich sofort untersucht werden!

Gabi seufzte leise. Sie war wohl doch nicht zur Abenteurerin geboren. Es war klasse, Archäologen im Fernsehen zuzuschauen, wie sie ihre Peitschen knallten und nach den tollsten Schätzen jagten (auch wenn sie den Namen eines Hundes trugen), aber im wirklichen Leben sah dann doch alles etwas anders aus. Es fehlte ihr dann doch der kleine Funken Waghalsigkeit, der wahre Helden ausmachte.

Sie sah zu Jock hinüber, der seinen kleinen Finger fast ganz in seinem Ohr versenkt hatte, um das Wasser herauszubekommen. Seine Zungenspitze war vor lauter Konzentration herausgestreckt. Gabi seufzte leise. Im Moment fehlte ihr da auch ein geeigneter Verbündeter für ihre Abenteuer... wie zum Beispiel Xena. Jock war nun wirklich kein passender Ersatz für die Kriegerprinzessin!

Ihre Gedanken wanderten zu ihrer Freundin, die den ganzen Tag lang zu Strafarbeiten in der Küche verdonnert war, nach dem sie am Tag davor das Speisezelt in ein Schlachtfeld verwandelt hatte.

Da auch Gabi und Andy ihre Rolle in dem Fiasko gespielt hatten, aber nicht als Haupt-Übeltäter galten, waren beide zu Aufrämarbeiten im Speisezelt verurteilt worden, die sie aber schon am Morgen erledigt hatten.

So hatten sie noch etwas Zeit zum Erforschen der Umgebung, bevor die Spiel- und Spaß-Aktivitäten am Nachmittag begannen. Aber irgendwie war es einfach nicht dasselbe ohne Sina! Gabi fühlte sich zwar ein kleines bißchen schuldig, weil sie hier draußen spielen durfte und Sina nicht, aber sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, wenn sie sich vorstellte, wie Sina wohl da im Küchenzelt saß und finstere Racheschwüre vor sich hin murmelte, während sie fettige Pfannen und Töpfe spülte oder das Gemüse für das Abendessen putzte.

"Was machen wir jetzt?" fragte Jock. "Ich will nicht nochmal auf den Felsen. Der ist so hoch..."

"Ich aber," sagte Gabi tapfer. "Wir werden rausfinden, was hinter dem Felsen versteckt ist."

"Wie wär's, wenn wir uns erst mal was trockenes anziehen," schlug Andy vor. Das sahen die anderen auch ein.

"Und vielleicht können wir Sina kurz besuchen," sagte Gabi.

 

Als sie das Küchenzelt betrat, sah Janice Melinda auf einer umgedrehten Kiste sitzen und Karotten schneiden. Sie sah nicht gerade begeistert dabei aus, und die Karotte, die sie gerade bearbeitete, bekam das aufs heftigste zu spüren. Sie schnitt sie nicht nur einfach in Stücke, sondern sie massakrierte sie geradezu.

"Was ist denn los, Mel?" fragte Janice ihre Freundin.

Melinda Pappas seufzte tief, und hielt in ihrer Arbeit inne.

"Gar nichts, Janice. Ich bin okay," sagte Melinda, ohne die Archäologin oder deren Begleiter dabei anzusehen. Sie fragte sich zwar, warum die drei so nasse Haare hatten, aber bei Janice war es manchmal besser, es nicht zu wissen. Wahrscheinlich würde Janice auf Ihre Fragen sowieso nur mit einem trockenen "Frag lieber nicht" antworten.

"Bist du nicht," sagte Janice. "Du siehst verärgert aus."

"Ach, ich bin nur ein bißchen gereizt. Das geht auch wieder vorbei."

"Sag schon! Was ist los?"

Mel seufzte und gab sich geschlagen. Sie konnte ihrer Freundin einfach nichts verheimlichen. "Ach, ich weiß auch nicht, Janice. Es sind diese Schriftrollen, an denen ich gerade arbeite. Jedes mal, wenn ich spüre, daß ich ganz nah an einer Lösung bin, stolpere ich über irgend ein Wort, das für den Zusammenhang absolut wichtig ist, und das ich einfach nicht übersetzen kann. Es it so frustrierend! Da weiß man genau, daß ungeahnte Weisheiten und spektakuläre Erkenntnisse direkt vor einem liegen, aber sie könnten genausogut am anderen Ende der Welt sein, weil man sie nicht lesen kann!"

Ihr Ärger neu entflammt, wandte sie sich wieder dem Gemüse zu.

"Ach, komm schon Mel, wenn irgend jemand diese Schriften übersetzen kann, dann du. Du bist schließlich gelehrt, und unheimlich klug. Du mußt dir einfach mehr Zeit geben."

Die dunkelhaarige Frau sprang auf, zog eine runde Wurfwaffe aus dem Gürtel und schwang sie über ihrem Kopf.

"Nicht schon wieder," murmelte Otto. Jock sah den beiden Frauen nur mit leerem Gesichtsausdruck zu.

"Bin ich nicht," brauste Melinda auf und stampfte mit dem Fuß. "Ich bin nicht klug, und ich will auch nicht gelehrt oder sonst irgendwas sein. Ich will das blöde Spiel hier nicht mehr spielen! Ich bin die Kriegerprinzessin! Ayiyiyiyiyi!

 

Als Megan O'Leary in das Küchenzelt kam, um nach dem kleinen Racker zu sehen, stand Sina in Kriegspose, ein Bein auf die Kiste gestellt, und schwang dieses verfluchte rosa Frisbee über ihrem Kopf.

Sinas Freundin Gabi war auch da, zusammen mit zwei der Jungs. Während Jock and Andy nur nervös zusahen, als ob hier zwei Löwen darum käpften, wer die Kinder später fressen durfte, führte Gabi ganz offensichtlich eine hitzige Diskussion mit der Frisbee-schwingenden kleinen Furie.

"Menno, Sina, müssen wir denn immer nur Xena spielen?" sagte Gabi gerade. "Ich find's halt gut, wenn wir mal jemand anderes sind."

Sina schob die Unterlippe vor. "Ich will aber niemand anderes sein! Xena ist die beste. Ich will keine doofe langweilige Tussi sein, die versucht Schriftrollen zu lesen. Das ist noch bescheuerter als Karotten und Kartoffeln zu schneiden."

Sie hielt inne und sah Gabi an, die betroffen wirkte. Sie biß sich auf die Lippe. Ihre Worte hatten wohl einen wunden Punkt bei dem kleineren Mädchen getroffen.

"Obwohl Xena bestimmt nicht so toll wäre, wenn sie die Bardin nicht hätte," gab sie mit einem vorsichtigen Grinsen zu.

Die Bemerkung schien Gabi zu beschwichtigen. Megan hatte keine Ahnung, was da gerade zwischen den beiden vorgefallen war, und sie war auch gar nicht sicher, ob sie es überhaupt wissen wollte. Sie richtete sich auf, auf knapp einen Meter neunzig brachte sie es, und setzte ihr böses Gesicht auf. Ihre grau-blauen Augen blitzten.

"Was habt ihr Kinder hier drin verloren?"

Alle vier zuckten zusammen, als sie ihre Stimme hörten. Alle außer Sina (wie könnte es anders sein!) sahen so schuldbewußt und betroffen aus, daß es die Lehrerin einige Selbstbeherrschung kostete, um nicht laut herauszulachen und ihren bedrohlichen Auftritt zu ruinieren.

Sie hatte die drei beim Klettern von Weitem beobachtet, und hatte schon den Atem angehalten, als klar wurde, daß sie abrutschen würden. Dann aber, nachdem die Kinder ihr unfreiwilliges Bad unverletzt überstanden hatten, entschied sie, daß das eiskalte Naß Strafe genug für ihre Unvorsichtigkeit war.

"Wir wollten nur sehen, ob Sina vielleicht schon fertig ist," sagte Gabi tapfer, während Sina leise ihr Frisbee wegsteckte und sich wieder auf die Kiste setzte. Sie nahm den Schäler und eine Möhre und setzte mit trotziger Miene ihre Arbeit fort.

"Sie hat noch eine Menge Arbeit vor sich," sagte Miss O'Leary schroff. "Ich glaube nicht, daß sie so bald fertig ist.

"Aber zur Schnitzeljagd darf sie doch kommen, oder?"

Megan zuckte mit den Schultern. "Das werden wir dann sehen..." Sie sagte es, als ob sie glaubte, daß eher die Hölle zufrieren würde. Sina schälte weiter und schien der Unterhaltung überhaupt nicht zuzuhören.

Gabi biß sich auf die Lippe. Sie blickte zu Sina herüber, dann in Megans Richtung, etwa in Höhe ihrer Knie. Dann sah sie nochmals kurz zu ihrer Freundin, und dieses Mal trafen sich ihre Blicke kurz, bevor Sina wieder zu ihrer Möhre herunter sah. Dann schweiften Gabis Augen zu den Jungs, die sich so gar nicht wohl in ihrer Haut fühlten in der Gegenwart der riesigen Sportlehrerin.

Sie holte tief Luft, nahm sichtlich ihren ganzen Mut zusammen und sah Megan aus großen grünen Augen an.

Megan hatte den inneren Kampf des Mädchens mit wachsender Erheiterung zugesehen. Sie schaffte es trotzdem, ihr Gesicht ernst aussehen zu lassen, und hob nur eine fragende Augenbraue.

Gabi schluckte hart. "Vielleicht... wenn wir ihr alle helfen..." krächzte sie. Die Jungs gaben einige überraschte Laute von sich, sagten aber nichts.

"Was hast du gesagt?" Megan legte eine Hand an ihr Ohr und gab vor, sie nicht gehört zu haben.

Von irgendwoher nahm sich Gabi Mut - Megan bemerkte, daß die Kleine noch einmal zu Sina herübersah - und sagte: "Na ja, wenn wir ihr alle helfen würden, dann wäre sie schneller fertig, oder? Dann könnten wir alle zusammen zur Schnitzeljagd gehen."

Sie sah sich nach den beiden Jungen um, die aussahen wie Fliegen, die in einem Spinnenetz hingen. Andy schlurfte ganz unauffällig in Richtung Zelteingang und machte dabei ein so unschuldiges Gesicht, daß Megan um ein Haar laut herausgelacht hätte.

"Du bist also bereit, einen Teil von Sinas Strafe auf dich zu nehmen?" fragte die Lehrerin ein wenig überrascht. Gabi nickte und sah der hochgewachsenen Frau mutig in die Augen.

"Und wie sieht es mit euch Jungs aus?"

Jock quietschte vor Schreck, daß er angesprochen wurde, und Andy wurde bleich. Megan fiel auf, daß Sina sehr darauf bedacht war, niemanden im Zelt direkt anzusehen. Sie hatte ihre Unterlippe fest zwischen den Zähnen und betrachtete die Möhre, die vom intensiven Schälen schon so dünn war wie ein Strohhalm.

"Jock?"

Der Kleine quietschte ein zweites Mal, aber dann nickte er. Er sah dabei Gabi aus großen Augen bewundernd an. "Wenn Gabi auch dableibt..." Gabi stöhnte leise und verdrehte die Augen. Megans Mundwinkel zucken verdächtig, als sie sich dem andern Jungen zuwandte.

Andy?"

Andy sah aus, als ob er furchtbar gerne den Kopf schütteln wollte. Er überlegte einige Momente, sah durch den Zelteingang sehnsüchtig auf den einladend in der Sonne glitzernden See, dann zu Sina, die wie ein kleines Häufchen Elend mit der Karotte und dem Schäler dasaß, dann wieder zum See. Schweren Herzens traf er seine Entscheidung, und seufzte. "Geht in Ordnung, Ma'am." Er sah allerdings nicht sehr überzeugt aus.

Miss O'Leary sah die Kinder lange nachdenklich an. "Na gut." Dann überlegte sie noch einmal kurz und fügte hinzu: "Wenn ihr es rechtzeitig schafft, dann dürft ihr alle zur Schnitzeljagd. Wenn nicht, dann bleibt ihr so lange hier, bis ihr fertig seid." Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz Kehrt und verließ das Zelt.

"Puh," sagte Andy, als er sicher war, daß die Lehrerin außer Hörweite war. "Mensch Gabi, was sollte das denn? Wir hätten so schön weiter auf dem Felsen rumklettern und nach der Schatzhöhle suchen können."

Bevor Gabi etwas sagten konnte, murmelte Sina: "Danke, daß ihr mir helft.

"Ähm, na ja... gern geschehen... glaube ich," sagte Andy. Ohne ein weiteres Wort krempelte er die Arme hoch und ging zum Spülbottich. Er verzog das Gesicht, als er die verkrusteten Töpfe vom Vortag sah. Jock gesellte sich zu ihm, nachdem Andy ihm einen ungeduldigen Wink gegeben hatte. Er nahm ein feuchtes Küchenhandtuch und wartete darauf, daß sich Andy an die Arbeit machte.

"Das war brilliant, Gabrielle!" Xena reichte ihrer Freundin ein Messer und einen Eimer mit Kartoffeln, damit sie unter den anderen Sklaven nicht auffiel. "Du hast es geschafft, uns alle zusammen zu bekommen, damit wir an unseren Plänen weiterarbeiten können..."

 

Rechtzeitig zur Schnitzeljagd waren alle Töpfe gespült und verstaut, das Gemüse für den Eintopf gewaschen und geschnitten, und vier Kinder hatten die von der Küchenarbeit verdreckten Kleider gegen mehr oder weniger saubere getauscht; obwohl sie so sauber sicher nicht besonders lange bleiben würden.

Alle hatten hart geschuftet, sogar Jock. Obwohl Sina und Gabi immer noch über Sinn und Unsinn des neuen Spiels mit Melinda und Janice diskutiert hatten und darüber ihre Arbeit wieder und wieder in Vergessenheit geraten war, hatten die vier in einigen Stunden geschafft, wofür Sina sicherlich den ganzen Tag gebraucht hätte. Sie murmelte zwar mehrere Male artig ihren Dank, versuchte aber, sich nicht anmerken zu lassen, wie unendlich dankbar sie den Dreien wirklich war.

Nach dem Mittagessen - die vier kleinen Strafarbeiter durften dafür eine kurze Pause einlegen - waren die Kinder in Gruppen eingeteilt worden. Dafür hatten Miss O'Leary und Mr. Pride jeweils drei Mädchen und drei Jungen für jedes Team ausgesucht. Da aber weniger Jungs als Mädchen im Camp waren, ergab es sich, daß Sina, Gabi, Jock und Andy in einer Gruppe waren, begleitet von Cindy, einem aufgeweckten, dunkelhäutigen Mädchen in Gabis Alter.

Die vier wunderten sich zwar, daß der Zufall sie zusammen in ein Team gesteckt haben sollte, stellten aber ihr Glück keineswegs in Frage. Nur einmal, da sah Gabi fragend zu Miss O'Leary herüber. Man kann sich ihre Überraschung vorstellen, als die große Frau ihr zuzwinkerte! Schnell drehte sie sich wieder weg und tat so, als hätte sie es nicht gesehen.

Die Gruppen hatten die Aufgabe, nicht nur ihren Weg durch das kleine Wäldchen zu finden, sondern dabei auch noch fünf Pflanzen zu sammeln, die auf ihrer Liste standen. Zusammen mit der Liste hatte jedes Team einen Natür- und Landschaftsführer bekommen und die strikte Anweisung, die Pfade im Tal nicht zu verlassen. Die Gefahr, daß die Kinder das Tal verließen, war eher gering, da nur ein Feldweg hinein führte und das Gebiet durch eine kleine Gebirgskette eingeschlossen war.

Also schickten die Betreuer die kleinen Abenteurer auf die Reise, in der Gewißheit, daß niemand verloren gehen würde. Mr Pride hatte ein großes Jagdhorn dabei, daß er in zwei Stunden blasen würde, wenn die Zeit abgelaufen war.

Als das letzte Team außer Sichtweite war, sanken die beiden Betreuer erleichter auf die Bank vor Megans Hütte, und entspannten sich bei einem heißen Becher Kaffee und etwas Gebäck. Zwei kostbare Stunden Ruhe und Frieden! Wie herrlich!

 

Zwei Stunden später schallte der dröhnende Klang des Jagdhornes durch das kleine Tal. Ein Team nach dem anderen fand sich wieder im Lager ein und präsentierte seine Ausbeute Miss O'Leary, die sie fein säuberlich sortierte, um sie später auszuwerten. Das Ergebnis des Wettbewerbes sollte nach dem Abendessen bekanntgegeben werden. Schon bald waren alle Kinder um Megan herum versammelt und bettelten um einen Hinweis, wie sie denn nun abgeschnitten hatten.

Alle Kinder, bis auf fünf.

 

"Xena?" keuchte Gabrielle, als sie durch das dichte Buschwerk hasteten, weit ab von dem ausgetretenen Pfad, wo die Sklavenjäger zuerst nach ihnen suchen würden. "Xena? Glaubst du, wir schaffen's?"

"Es kann gar nichts schiefgehen, Gabrielle," sagte Xena, ohne das Tempo zu verlangsamen. Sie erwartete einfach, daß die anderen Schritt hielten. "Der Plan ist perfekt. O'Leara wird uns niemals finden. Der Ausbruch war doch ganz leicht. Jetzt müssen wir nur noch aus diesem Tal raus finden, auf der nächsten Farm Proviant und Pferde besorgen, und dann machen wir uns sofort auf ins Amazonengebiet, damit wir Chilapa wieder zu ihrem Volk zurückbringen können."

Sie schlugen sich weiter durchs dichte Unterholz, abseits von den Pfaden durch dichte, dornige Vegetation. Chilapa, die dunkelhäutige Amazone, fluchte leise vor sich hin, und befreite ihr Gewand aufs Neue von dem viel zu anhänglichen Gestrüpp.

"A propos finden," bemerkte sie, "bist du sicher, daß du weißt, wo wir sind?"

"Pssst," sagte Gabrielle. "Ich bin sicher sie weiß es. Tust du doch, Xena, oder? Xena?"

Ohne sich umzudrehen, antwortete die Kriegerprinzessin: "Na klar doch." Wenn die anderen ihr Gesicht hätten sehen können, wären ihnen sofort die panisch geweiteten blauen Augen aufgefallen, die verzweifelt nach einem bekannten Punkt in der Landschaft Ausschau hielten. Sie war sich so sicher, daß sie auf dem Weg zum Ausgang des Talkessels waren, aber bei Ares' Stiefeln, diese Bäume sahen alle gleich aus!

Als die Sonne zu sinken begann, hielt Xena bei einem umgeszürzten Baum an, um ein Lager aufzuschlagen. Der hohle Baumstamm war groß genug, daß alle bequem darin Platz fanden; er würde ein brauchbares Nachtlager abgeben.

Alle machten sich sogleich an die Arbeit und suchten die Gegend nach brauchbaren Material für das Lager ab. Sie hatten nicht sehr viel aus dem Sklavenlager mitnehmen können, aber Gabi hatte ihre Schriftrollen, und unterwegs hatten sie ein paar Pflanzen gesammelt, aus denen sie einen schönen Kräutertee brauen konnten.

Sie sammelten also trockenes Holz für ein Lagerfeuer, aber sehr zu ihrem Ärgernis war Xenas Feuerstein irgendwie naß geworden, und so mußten sie wohl oder übel auf ein Feuer verzichten.

So kam es, daß die kleine Gruppe nach Einbruch der Nacht eng aneinandergedrängt in dem hohlen Baum saß in der Hoffnung, sich gegenseitig warmhalten zu können. Gabrielle erzählte Geschichten, und Xena hatte die erste Wache draußen vor dem Unterschlupf übernommen. Dort saß sie etwas abseits an einen Felsbrocken gelehnt und spielte gedankenverloren mit ihrem Chakram.

"... und so endet das erste Zusammentreffen von Xena und der Drachenlady," erzählte Gabrielle.

Chilapa war von der Geschichte besonders gebannt gewesen, und nun steckte sie voller Fragen.

"Wenn die Drachenlady wirklich so stark ist, dann hatte Xena ja Glück, daß sie mit dem Leben davongekommen ist, oder? Hat sie sich wirklich in einen Drachen verwandelt und ist weggeflogen?"

"Das hat sie allerdings," erwiderte Gabrielle. "Und es war ein ganz schön gefährlicher. Hat mit einem Atemzug meinen Stab angezündet, und Xenas Schwert fast zum schmelzen gebracht. Sie mußte es fallen lassen und nur mit ihrem Chakram und ihrer Peitsche kämpfen. Das hättet ihr sehen sollen. Nur gut, daß es in diesem Moment zu regnen anfing."

"Aber wie kann das sein?" beharrte die Amazone. "Ich habe noch nie von einem Menschen gehört, der so etwas kann. Sie ist auch ganz schön schlau, und stärker als irgendjemand sonst, außer vielleicht..." Sie verstummte. Diesen Gedanken wollte sie lieber nicht zu Ende denken.

"... außer vielleicht einem Gott," sagte die Bardin mit düsterer Stimme. Ein Raunen ging durch ihre Zuhörer. "Oder auch ein Halbgott. Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Das muß ihr Geheimnis sein."

Nachdem sie dem aufgeregten Flüstern, daß ihre Enthüllung ausgelöst hatte, eine Weile zugehört hatte, erhob sich Gabrielle. "Ich gehe mal Xena ablösen. Ihr solltet etwas schlafen - morgen wird ein harter Tag."

 

Sina saß an einen Felsbrocken gelehnt und spielte gedankenverloren mit ihrem Frisbee, als Gabi sich zu ihr gesellte. Sie hatte ihre Unterlippe fest zwischen den Zähnen.

"Hey, du," sagte Gabi leise.

Sina knurrte leise. Wortlos setzte sich Gabi neben sie, schlang die Arme um ihre Beine und legte das Kinn auf ihre Knie.

"Wir haben uns verirrt, und es ist alles meine Schuld," sagte Sina nach einer Weile.

"Hey, wir haben die Drachenlady überlistet."

"Ja, schon. Aber wir haben uns total verlaufen."

"Morgen finden wir den Weg zurück. Mach dir keine Sorgen."

"Und dann? Dann kriegen wir schon wieder Ärger."

"Vielleicht merkt sie ja gar nicht, daß wir weg sind?"

"Ganz bestimmt." Sinas Schultern waren zusammengesunken . "Mir gefällt es hier nicht. Ich will nach Hause. Argo fehlt mir. Und Tom." SIe überlegte kurz. "Na ja, und Mami wohl auch." Ihre letzten Worte waren ein ganz leises Flüstern. Niemand außer ihrer allerbesten Freundin durfte ein solches Geständnis aus Sinas Mund hören.

Gabi dachte nach. "Ich war noch nie nachts draußen im Wald." Mit großen Augen sah sie sich um, betrachtete die Bäume und Büsche um sie herum, die nurmehr bedrohliche dunkle Schatten waren, und schauerte. "Ein bißchen gruselig, findest du nicht?" Sie rieb sich die Arme.

Obwohl es fast dunkel war, sah Gabi, daß ihre Freundin ihr den Kopf zuwandte. "Kann sein." Sina zuckte mit den Schultern.

"Nur gut, daß du dein Chakram dabei hast," sagte Gabi mit einem schiefem Grinsen. "Solange du das hast, wird sich keiner treuen, uns was zu tun."

Es dauerte ein paar Augenblicke, aber dann hellt sich Sinas Gesicht langsam auf. Schließlich grinste sie Gabi breit an. "Hast du gesehen, was ich im Speisezelt damit gemacht habe? War das nicht toll?"

"Allerdings," sagte die kleine Blonde lächelnd. "Kommst du jetzt mit? Wir erzählen uns Geschichten und so."

Sina sprang auf. "Erzählst du auch wieder die, wie Aphrodite deine Schriftrollen verzaubert hat? Die mag ich..."

 

Wie sie so den schmalen Waldweg entlanglief und nach den Kindern rief, versuchte sich Megan O'Leary vergeblich zu erinnern, warum sie sich entschlossen hatte, lieber mit Kindern zu arbeiten als zur Polizei zu gehen, wie sie es ursprünglich geplant hatte. In diesem Augenblick fielen ihr keine guten Gründe mehr ein. Inwiefern waren diese kleinen Monster besser unter Kontrolle zu halten als zum Beispiel ein Einbrecher? Wenigstens konnte man Kriminellen Handschellen anlegen oder sie einsperren...

Sie mußte kurz anhalten, um durchzuatmen. Sie war jetzt schon dreimal diesen verflixten Berg hinauf und hinunter gerannt - sie stöhnte verärgert. "Ich kann nicht glauben, daß ich das hier in meinen Ferien mache...!"

Sie konnte Gulliver in einiger Entfernung hören, wie er durchs Unterholz raschelte und ebenfalls immer wieder die Namen der Kinder rief.

Als sie einer weiteren Spur von zertrampelter Vegetation folgte - sicher wieder nur die Spur eines Rehs - wurden die Batterien ihrer Taschenlampe langsam schwach. Sie fluchte leise. Wahrscheinlich hatte sie schon dutzende Spuren der Kinder in dieser verflixten Dunkelheit übersehen. Die bizarren Schatten, die die Bäume und Sträucher warfen, verwirrten ihre Augen zusätzlich. Schon mehrere Male hatter sie über sich selbst geschimpft, weil sie vor Schreck zusammengefahren war, wenn sie ein Zweig gestreift hatte.

Und dann sah sie es.

Auf dem Boden, am Rande des sterbenden Lichtkegels ihrer Taschenlampe, lag etwas rundes, grell rosa. Sinas Frisbee. Sie ging etwas näher heran, um sicherzugehen.

Dann mußte Megan grinsen. Sie rief Gulliver in einem lauten Flüstern. "Komm hierher, Gully! Sieh mal, was ich gefunden habe!"

Dort, im Schutze eines hohlen Baumstammes, lagen fünf Kinder, aneinandergekuschelt, und schliefen friedlich mit einem Lächeln auf ihrem Gesichtern.

Ende

Kommentare werden immer gerne genommen - Ihr erreicht mich unter verrath@gmx.de

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