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Die symbi-Schriftrolle

von Verrath

"Xena? Xena, hey, schau Dir das mal an," sagte Gabrielle. Sie hielt eine Schriftrolle in den Händen, die sie nun der Kriegerprinzessin entgegenstreckte.

"Was ist das, Gabrielle?"

"Na ja, eine Schriftrolle."

Xena zog eine Augenbraue hoch. "Das sehe ich auch. Was steht drin?"

"Es geht um eine Herausforderung. Jemand, der sich selbst 'symbiont' nennt, ruft zum Geschichtenerzählen auf."

"Aha. Nie von ihm gehört. Was zum Hades is ein 'symbiont'?"

"Äh, Xena, ich glaube, es ist eine sie."

"Warum sagst Du das dann nicht?"

Die Bardin zuckte mit den Schultern. "Du hast nicht gefragt."

Die zweite Augenbraue gesellte sich zu der ersten. "Und woher hast du diese... Schriftrolle?"

Gabrielle zuckte ein zweites mal mit den Schultern. "Jemand muß sie mir wohl auf dem Markt in den Beutel gesteckt haben."

"M-hm," grunzte Xena, und betrachtete prüfend den Beutel mit Dinaren am Gürtel der Bardin. "Und dieser jemand hat wohl auch die Bezahlung dafür gleich mitgehen lassen?"

Gabrielle schaute etwas verlegen drein, so wie ein Kind, das gerade mit der Hand in der Keksdose erwischt wurde. "Äh, na ja, Du weißt ja, unsere Vorräte..." Sie schluckte. "Aber, Xena... die Schriftrolle?"

Die Mundwinkel der Kriegerin zuckten, als sie die Schriftrolle öffnete und den Inhalt kurz überflog.

"Interessant," bemerkte sie.

"Ich glaube, da könnte ich auch mitmachen," behauptete Gabrielle. "Ich bräuchte nur ein wenig... Inspiration."

"Inspiration."

"Genau. Zwei bis fünf Seiten. Das dürfte kein Problem sein."

Xena studierte die Schriftrolle. "Ein seltsames Wesen soll darin vorkommen? Was meint sie damit?"

"Keine Ahnung. Hast Du schon das mit der Gottheit gelesen, die darin auftauchen soll? Und daß eine Farbe eine Rolle spielen soll, und ein Ritual? Und was in Zeus' Namen ist bitte ein Nebencharacter?"

"Jedenfalls nicht Joxer," bemerkte die Kriegerin, die allerdings genauso ratlos aussah wie Gabrielle.

"Na ja, ist auch mal ganz gut."

Die beiden hatten sich in einem kleinen Gasthaus in Athen eingemietet, um einer Schlechtwetter-Periode zu entfliehen. Der kleine Raum war spärlich eingerichtet, der einzige Farbklecks war eine pinkfarbene Bettdecke. Ein schrecklicher Farbton, haarscharf an der Grenze des guten Geschmacks.

Auf diese Bettdecke setzte sich Gabrielle nun, und stützte das Kinn auf die Hände.

"Ich glaube, ich kann die Herausforderung doch nicht annehmen," sagte sie schließlich. "Das ist ja alles total an den Haaren herbeigezogen. Wie soll man daraus eine Geschichte machen?"

Sie sah nicht das kleine Etwas, das sich mühsam unter der Tür durchzwängte, und auf die beiden zukroch.

***

"Gabrielle, hast Du hier einen rosafarbenen Teppich hingelegt?"

"Wie bitte?? Erstens würde ich niemals einen Teppich in ein Gasthaus mitbringen, und zweitens ist rosa überhaupt nicht meine Farbe. Es reicht schon, daß die Bettd- Du meine Güte!"

Ihr Blick war auf den Boden nahe der Tür gefallen, wo tatsächlich ein Teppich ausgelegt war, der einen ähnlich augenbeleidigenden Farbton aufwies wie die Bettdecke.

"Wie zum Tartarus ist denn das passiert? Da lag heute morgen ein dunkelblauer Teppich, so wahr ich hier sitze!"

"Richtig, Gabrielle. Aber wenn Du ihn nicht ausgetauscht hast, und ich nicht, und sonst niemand hier drinnen war..." Xena ließ die Frage ungefragt im Raum stehen.

"Ähem... 'Tschuldigung."

Die Stimme zu ihren Füßen ließ Gabrielle aufschrecken. Hastig zog sie die Beine an. Irgendetwas war da auf dem Fußboden, und es sah nicht wie einer ihrer Stiefel aus!

Außerdem hatte sie noch nie einen rosa Stiefel sprechen hören.

Rosa Stiefel...???

"Xena... mein Stiefel..."

Tatsächlich, der Stiefel, der da achtlos vergessen halb unter dem Bett lag - die Götter alleine wußten, wo der andere war - hatte eine zartrosa Färbung angenommen.

"Was zum..."

"Wenn ihr mir mal einen Moment eure Aufmerksamkeit schenken könntet..." meldete sich die Stimme erneut. "Ich habe da nämlich ein klitzekleines Problemchen..."

Kriegerin und Bardin sahen zum Fußboden herunter, die Augen vor Erstaunen geweitet. Dort saß ein gar seltsames Wesen. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein kleiner Wurm, etwa so lang wie Gabrielles Hand. Aber es hatte ein beinahe menschliches Gesichtchen, aus dem viel Intelligenz sprach.

"Was bist Du denn für ein seltsames Wesen?" fragte Gabrielle, deren Neugier schon nach einem kurzen Schreckmoment ihre Vorsicht übertraf.

Xena hingegen hatte mit einer blitzschnellen Bewegung ihr Schwert von seinem Platz an der Wand geholt und streckte dem kleinen Geschöpf die blinkende Spitze entgegen.

"Rede schon, oder was immer Du bist, Du wirst es nicht mehr lange sein."

Mit einem spitzen Quietschen ging das Würmchen hinter einem von Gabrielles Beinen in Deckung.

"Laß das, Xena, Du machst ihm ja Angst."

"Angst? Gabrielle, das Ding könnte giftig sein." Doch sie senkte ihr Schwert mit einem unwirschen Grunzen.

"Giftig??" ereiferte sich das Würmchen. "Ich bin nicht giftig. Ich habe noch nie einem Menschen etwas zuleide getan. Na ja, jedenfalls nicht direkt..."

"Aha!" rief Xena.

"Wartewartewarte, nich pieksen, bitte," flehte das Würmchen, "Ich tu doch keinem was! Ich habe eben nur dieses Problem..."

"Was denn für ein Problem?" fragte die Bardin.

"Na ja... die Farbe?"

"Farbe?" sagten Kriegerin und Bardin im Chor.

"Na das seht ihr doch selbst, oder?" Das Wesen deutete mit seinem Ende auf die diversen Gegenstände, die auf unerklärliche Weise diese rosa Farbe angenommen hatten. "Der Farbton ist nicht immer der gleiche..."

"Was, DU warst das?", rief Gabrielle aus. "Wieso tust du sowas?

"Na ja, es passiert einfach." Das Wesen sah verlegen aus.

Xena zog fragend eine Augenbraue hoch, und legte - endlich! - ihr Schwert zur Seite.

"Na ja, ich hab was dummes gemacht, und jetzt zahle ich den Preis dafür..." Sichtlich nervös kroch das Würmchen auf und ab, und hinterließ dabei eine dünne rosa Spur. Wie kleine Rinnsäle breitete sich die Farbe von dort aus und verteilte sich in einem gleichmäßigen Kreis um das Wesen.

"Was genau hast du denn getan?" fragte Gabrielle.

"Und wie wäre es, wenn du sich nicht so viel bewegst?" fügte Xena hinzu, wobei sie einen bedeutungsvollen Blick auf den neu gefärbten Fußboden warf.

"Wie? Oh, ja, natürlich," erwiderte das Wesen, ohne anzuhalten. "Wißt ihr, alles fing damit an, daß ich in meinem Archiv ein bißchen mehr Farbe wollte..."

***

"Du hast WAS!?"

"Ich bin in einen Eimer mit Gaias magischer Farbe gefallen," sagte der kleine Wurm ungücklich.

"Das ist die Farbe, mit der Mutter Natur die Welt färbt," sagte die Bardin nachdenklich.

"Es war ein Unfall, echt. Ich wollte nur mal hineinsehen... " Das Würmchen, daß sich im Laufe der Erzählung als niemand anderer als symbiont entpuppt hatte, schnüffelte kurz.

"Und jetzt hängt die magische Farbe an dir, und du färbst alles ein, womit du in Berührung kommst," bemerkte die Kriegerin.

Symbiont nickte. "Aber... na ja, das schlimmste habe ich euch noch nicht erzählt..." Das Würmchen schaute plötzlich ganz besonders unbehaglich drein.

"Und was ist das?" fragte Gabrielle.

"Das kann ICH euch sagen," sagte eine wenig amüsierte Stimme hinter den beiden Frauen. Symbiont quietschte entsetzt und verschwand wie der Blitz in Gabrielles rosa Stiefel.

"Ares, was zum- Bei allen Göttern!" Xena drehte sich nach dem Kriegsgott um, und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sonst ganz in düster anmutendes, schwarzes Leder gekleidet, strahlte Ares' Kleidung heute in einem besonders zarten, süßen rosa!

"Das ist nicht witzig, Xena! Hast Du eine Ahnung, wie mein Ruf darunter leidet? Wo ist dieser Wurm?"

"Ich... hahaha.. habe ihn nini..nicht gesehen, ehrlich," stotterte symbiont. "Nicht wehtun, bibitte."

"Niemandem wird hier weh getan," sagte Gabrielle mit einem trotzigen Blick in Ares' Richtung. Der Kriegsgott schnaubte verächtlich und starrte die Wand irgendwo hinter der Bardin an. Er bebte förmlich vor Wut.

"Ich..." sagte er der Wand. Seine Augen blitzten und funkelten.

"HASSE..." seine Hände ballten sich zu Fästen.

"Rosa!" Er drehte sich langsam zu den Frauen um, jeder seiner Muskel angespannt um Kontrolle kämpfend.

Symbiont wimmerte.

Bevor irgendjemand antworten konnte, flog die Tür auf, und im Eingang stand eine dunkelhaarige Frau, in schwarzes Leder geleidet. Eine zusammengerollte Peitsche war an ihrem Gürtel befestigt. Sie grinste und wippte aufgeregt auf den Fußballen.

"Xena! Da bist du ja! Hey, Ares, nettes Outfit."

"Minya," sagten Xena und Ares gleichzeitig. Es war schwer zu erkennen, wer weniger erfreut war.

"Was machst du hier, Minya?" fragte Gabrielle. "Das letzte Mal, als wir dich gesehen haben, da warst du doch..."

"Ist ja egal," unterbrach Minya hastig. "Ich weiß eigentlich auch nicht so genau, was ich hier mache. Aber ich bin gestern Morgen aufgewacht, und ich mußte Dich einfach unbedingt sehen, Xena. Und... hier bin ich!" Sie strahlte die Kriegerin an, die das Gesicht verzog.

"Schön," sage Xena, bevor die Gemüter sich weiter erhitzen konnten. "Wir haben ein seltsames Wesen, das ein seltsames Problem hat. Laßt uns überlegen, wie wir das in den Griff kriegen."

"Und zwar ohne dabei Blut zu vergießen," erinnerte Gabrielle den Kriegsgott und die Kriegerin. Xena hatte den Blick auf Ares, Ares auf den rosa Stiefel und dessen bibbernden Inhalt gerichtet. Beide sahen nicht besonders erfreut aus.

Minyas Blick schweifte verwirrt umher. Kriegerin und Bardin hatte sie erwartet. Aber einen wütenden Kriegsgott in rosa, rosa Spuren überall, und ein seltsames kleines Wesen in Gabrielles rosa Stiefel...? Das einzige, was jetzt noch fehlte, war Joxer, und das Chaos wäre perfekt gewesen.

"Was ist hier eigentlich los?" fragte sie.

Gabrielle erklärte es ihr, während symbiont vorsichtig wieder aus dem Stiefel hevorkroch.

"... und jetzt müssen wir einen Weg finden, symbiont's Fluch aufzuheben."

"Wascht den Wurm," sagte Minya.

"Waschen?" Vier Augenpaare richteten sich auf sie. Sie zuckte mit den Schultern.

"Na ja, das würde ich jedenfalls tun, wenn ich in einen Eimer mit Farbe gefallen wäre..."

Drei der vier Augenpaare schweiften zu symbiont.

Das Würmchen machte große Augen. "Waschen...?"

"Aber nicht mit normalem Wasser," warf Gabrielle ein.

Symbiont wimmerte.

***

"Seid ihr sicher?" fragte symbiont.

"Jap," grunzte Xena.

"Absolut," versicherte Gabrielle.

"Jawoll," grinste Minya.

Sie standen vor einem Tempel der Gaia, der glücklicherweise nur eine halbe Tagesreise von der Stadt entfernt in einem abgelegenen Waldstück lag.

"Wofür stehen wir hier noch rum?" grummelte Ares. "Die Priesterinnen starren starren mich schon die ganze Zeit so seltsam an, also los!"

Die kleine Gruppe betrat zögernd den Tempel, wo einige der Priesterinnem bereits die für das Reinigungsritual notwendigen Dinge vorbereitet hatten. Auf dem völlig mit Pflanzen überwucherten Altar stand eine Hölzerne Schale, die den Anschein erweckte, als sei sie ganz natürlich so gewachsen, ohne je die Klinge eines Messers zu spüren bekommen zu haben, das ihr hätte Form geben wollen. Überhaupt schien der gesamte Tempel wie aus einem Guß. Keine Menschenhand hätte ihn in dieser Vollendung erschaffen können. Pflanzen durchdrangen seine Wände in stiller Eleganz und rankten sich um die Säulen, die, scheinbar vom Wind geformt, der seltsam lebendig anmutenden Struktur Halt gaben. Die Natur war eben der beste Baumeister.

Wasser glitzerte in der Schale, reiner und klarer als die tiefste Bergquelle, gerade genug, um einen kleinen Wurm darin zu baden. Einige spärlich bekleidete Jungfrauen standen bereits um den Altar herum und sangen leise. In den Händen hielten sie kleine Gefäße, gefüllt mit heiligen Salzen, Kräutern und Ölen.

Symbiont schluckte hart, und machte sich etwas kleiner in Gabrielles Hand. Der Wurm steckte in einem von Gabrielles neuen rosa Socken, um unerwünschte Nebenwirkungen dieser Aktion zu vermeiden. Gabrielle lächelte dem kleinen Wesen aufmunternd zu.

Das Ritual selbst war schnell zu Ende - ein bißchen singen, ein bißchen herumhantieren mit den Badezutaten, ein nach Luft japsender und spuckender Wurm, ein sanftes, magisches Leuchten erschien kurz und verschand wieder, und es war vollbracht. Na ja... fast.

"Was zum...!" knurrte Ares und sah an sich herunter.

"O je," sagte Minya, und biß sich auf die Lippe.

"Na ja, Ares, das hätte ich Dir vielleicht sagen sollen," erklärte Xena, deren Mundwinkel verräterisch zuckten. "Das Ritual hat keine Wirkung auf Unsterbliche. Ich fürchte also, du wirst dich an diese neue Farbe gewöhnen müssen."

Ares' Kinnlade fiel herunter, bevor er sein wütendes Gesicht aufsetzen konnte. "Du... du...! Ach, Zentaurenmist!" Mit einem wortlosen Knurren verschwand der rosa gekleidete Kriegsgott im Nichts.

Minya kicherte.

"Wieso hat er nicht versucht, symbiont anzugreifen?" fragte Gabrielle. "Im Gasthaus hätte er sie am liebsten gevierteilt."

Symbiont zuckte zusammen.

"Wir sind hier in einem Tempel einer der mächtigsten Göttinnen. Sie könnte seine Existenz für einige Zeit sehr unangenehm machen, wenn er sich hier drinnen nicht benimmt." Xena zwinkerte spitzbübisch. "Aber macht euch mal keine Sorgen, der regt sich schon wieder ab. Irgendwo gibt es bestimmt einen Krieg, der wichtiger ist als rosa Leder."

Drei Frauen und ein Wurm sahen sich eine Weile schweigend an, dann brachen sie in Gelächter aus.

***

"Sag mal, Gabrielle," sagte Xena, als die beiden, viel später, auf dem Rückweg zur Gaststätte waren. Symbiont hatten sie sicher in ihrem Archiv abgeliefert, und Minya war irgendwann im Gewimmel des großen Wochenmarktes verschwunden.

"Ja, Xena?"

"Wirst Du denn jetzt diese seltsame 'Challenge'-Geschichte schreiben?"

"Sei nicht albern Xena. Was könnte ich mir wohl ausdenken, das auch nur annähernd realistisch ist, mit diesen Elementen? Damit kann ich nicht arbeiten, ist doch völlig an den Haaren herbeigezogen..."

Ende

Kommentare werden immer gerne genommen - Ihr erreicht mich unter verrath@gmx.de

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